Ganz große Oper

125 Jahre Horch

August Horch

Als August Horch 1896 das erste Mal mit einem Automobil in Berührung kam, war die Erfindung gerade zehn Jahre alt und stellte noch wenig mehr dar als Kutschen mit Verbrennungsmotor. Das Auto steckte in den Kinderschuhen. August Horch erfand das Auto nicht – aber er war einer der Ingenieure der ersten Stunde, die den Motorwagen bei der Evolution zum Automobil begleiteten. Der Name Audi existiert als Marke bis heute – mittlerweile weltbekannt.

Von August Horch selbst findet sich hingegen wenig Materielles, was die Zeiten überdauert hat. Fotos und Aussagen von ihm selbst oder von Zeitzeugen sind oft die einzigen Relikte, die bleiben.

Kindheit und Jugend

„Ich bin in Winningen zur Schule gegangen, und ich kann sagen,

daß mir das Lernen keine Schwierigkeiten machte. Hingegen bin ich von der Arbeit im Weinberg und auf dem Felde gar nicht hingerissen gewesen. Ich hockte lieber in der Werkstatt meines Vaters, und hier verbrachte ich meine meiste Freizeit. Aber die Jungens in der Welt sollen nicht glauben, daß ich vielleicht die Räuber- und Indianerspiele meiner Kameraden nicht mitmachte! Heftig machte ich sie mit, unten am Ufer der Mosel, sehr heftig!“
August Horch, 1937

Am 12. Oktober 1868 erblickte August Horch in Winningen, einem kleinen Ort an der Mosel südwestlich von Koblenz, das Licht der Welt. Bereits seit dem 17. Jahrhundert war die Familie Horch in Winningen beheimatet und seit 1706 dem Schmiedehandwerk verbunden. August Horchs Interessen waren bereits in jungen Jahren von technischer Natur. So fertigte er etwa im Alter von 13 Jahren in der Schmiede seines Vaters ein Hochrad. Wie die meisten Einwohner Winningens ging auch sein

Vater nebenberuflich dem Weinbau nach. Dieses für die Region typische Handwerk übte auf August Horch aber keine sonderliche Anziehungskraft aus. Nachdem Horch mit 14 Jahren die Volksschule verlassen hatte, erlernte er das Schmiedehandwerk seines Vaters. Seine Körpergröße von 1,65 Metern und seine schmächtige Statur zwangen Horch dabei oft, Kraft durch Geschick zu ersetzen.

Prägend war es für ihn mitzuerleben, wie das kleine, weltabgeschiedene Dorf Winningen um 1880 an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Horch war begeistert und hegte – wie viele seiner Altersgenossen – den innigsten Wunsch, Lokomotivführer zu werden. Sicher entfachte dieses neue Tor zur Welt bei ihm auch Fernweh. Für den jungen August Horch bedeutete das Ende der Lehrzeit schließlich den Aufbruch zur Walz. Er verließ Winningen mit 15 Jahren, um auf Wanderschaft zu gehen.

Die Walz

„Ich suchte neue Arten von Arbeit, solche, die meiner technischen Neugierde entgegenkam und bei der ich Neues und Schwieriges lernen konnte. Denn ich bin von Lernbegier besessen gewesen damals, und diese Gier ist die fruchtbarste und prachtvollste, von der ein junger Mensch besessen sein kann. Sie allein ist die erste Grundlage für alles Andere und Spätere, sie allein öffnet viele Türen, und sie allein zieht wie ein Magnet Erfolge an.“
August Horch, 1937

Nachdem August Horch die Lehre zum Schmiedegesellen bei seinem Vater nach zweieinhalb Jahren beendet hatte, begab er sich Anfang 1884 für vier Jahre auf die Walz. Die Wanderschaft ist eine bis in das Mittelalter zurückzuführende Tradition unter Handwerksgesellen. Auch Horch wollte so seine Fähigkeiten

bei anderen Handwerkern vervollständigen. Diese Zeit war für August Horch eine Beflügelung und Inspiration, stillte sie doch seinen Drang ständig Neues dazulernen zu wollen. Der materielle Anreiz der Walz war dabei nie verlockend: die Meister boten in der Regel wenig mehr als freie Kost und Logis. Die Reise brachte ihn dabei vor allem in das südöstliche Europa.

Studium in Mittweida

„Der Beginn des Studiums war für mich namenlos schwer. Es fehlte mir der wissenschaftliche Unterbau und in dieser Hinsicht überhaupt alle theoretischen Voraussetzungen. Praktisch arbeiten hatte ich gelernt wie kaum ein anderer … aber ich hatte nur die Volksschule besucht, und von Algebra und Geometrie zum Beispiel wußte ich nichts. Manchmal sah es so aus, als ob ich vor einer Mauer stünde, die ich mein Lebtag nicht würde übersteigen können. Es half aber nichts. Mit hartnäckigem Fleiß

ging ich diese Mauer an, und das beinahe allmächtige Wunder eines entschlossenen Willens verspürte ich auch an mir: nach den ersten bitterschweren und harten Semestern ging das Studium leicht. Und nach sechs Semestern war ich auf der Höhe, und zwar in allen Fächern, und bestand meine Ingenieurprüfung mit Gut.“
August Horch, 1937

Der Drang nach Vertiefung seiner bisherigen handwerklichen Fähigkeiten war durch seine Wanderschaft angefeuert worden. Unmittelbar nach der Rückkehr von seiner Wanderschaft bemühte sich August Horch um sein Studium. Er schrieb sich am 13. August 1888 am Technikum in Mittweida als Student ein. Insgesamt dauerte das Studium des Maschinenbaus sechs Semester. Zwar konnte er durch sein Handwerk an gute praktische Fähigkeiten anknüpfen, doch musste er auf seine Volksschulkenntnisse viel theoretisches Grundlagenwissen

aufbauen. Diese Herausforderungen meisterte er jedoch dank großer Zielstrebigkeit und viel Fleiß. Am 30. September 1891 erhielt Horch sein Abschlusszeugnis mit der Durchschnittsnote „Gut“, was für einen Volksschüler und Schmiedegesellen der damaligen Zeit eine beachtliche Leistung darstellte.

Auf dem Weg zum Automobil

„Das entscheidende in dieser Leipziger Zeit war für mich, daß ich zum ersten Male in die Geheimnisse des Explosionsmotors eingeführt wurde, der meines Lebens Schicksal werden sollte.“
August Horch, 1937

Am Ende seines Studiums hatte sich August Horch zwar schon viel mit der Konstruktion von Maschinen und Motoren beschäftigt, vom Automobil hatte er indes noch nichts gehört. Nach einer ersten Anstellung bei der Neptunwerft in Rostock

kam er 1892 zur Maschinenfabrik Grob & Co. nach Leipzig, wo er an einem 800 PS starken Petroleummotor für die Marine mitarbeitete. Die Neugier brachte August Horch an einem Sonntag des Jahres 1896 auf die Leipziger Pferderennbahn, als dort ein Motorrad der Firma Hildebrand & Wolfmüller angekündigt und vorgeführt wurde. Dies wurde für Horch zu einem Schlüsselmoment: Der Gedanke, Motoren in Wagen einzubauen ließ ihn fortan nicht mehr los.

Vor Neugier brennend bewarb er sich daraufhin bei Carl Benz in Mannheim und wurde prompt engagiert. Dort stieg er schon nach vier Monaten zum Leiter des Motorenwagenbaus auf. Nach drei Jahren bei Benz wurden die unterschiedlichen Ansichten der beiden Ingenieure jedoch unüberbrückbar. »Papa Benz« war zwar der Ur-Vater des Automobils, aber dennoch verschloss er sich den Nachfolgeverbesserungen, die Horch für geboten hielt, um damit den Gebrauchswert des Autos zu steigern. Horch

entschied sich zu kündigen und gründete am 14. November 1899 sein eigenes Unternehmen im Kölner Stadtteil Ehrenfeld.

Vom Ingenieur zum Unternehmer

„Um die Mitte des Jahres 1899 war ich zu einer entscheidenden Überlegung gekommen […] Ich wollte mich selbständig machen […] Ich ging zu Herrn Benz und bat, mich zu entlassen. ‚Sie werde doch nicht im Ernst von mir weggehe wolle! Wir habe doch jetzt so lang gut miteinander gearbeitet.‘ […] Er ließ sich auf keine weitere Unterhaltung mehr ein, und mir blieb nichts anderes übrig, als meine Kündigung in aller Form zu wiederholen.“
August Horch, 1937

August Horch war nicht nur Automobilpionier, der mit seinem Erfindergeist wegweisende technische Innovationen im Motoren-

und Automobilbau durchsetzen konnte. Er war seit seinem Abschied von Benz 1899 zudem auch Unternehmer. In den von ihm gegründeten Firmen nahm er stets leitende Funktionen wahr. Da er aber nie Alleininhaber war, schuldete er den Investoren der Kapitalgesellschaften Rechenschaft.

War er als Erfinder zwar talentiert und äußerst motiviert, so stellten ihn betriebswirtschaftliche Prozesse mit zunehmender Betriebsgröße aber immer mehr vor Herausforderungen. Bereits nach drei Jahren Selbstständigkeit in Köln-Ehrenfeld zeichnete sich der Konkurs des jungen Unternehmens ab. Als begeisterter Ingenieur ging es ihm um Ideen und Innovationen. Die kaufmännischen Abläufe gerieten dabei in den Hintergrund – obwohl gerade diese für die Profitinteressen der Geldgeber zentral waren.

Doch August Horch war ebenso sehr eine Kämpfernatur mit

großer Ausdauer. Auf der Suche nach Investoren brachte er den Automobilbau schließlich nach Sachsen – erst nach Reichenbach, dann nach Zwickau, wo in den ehemaligen Fabrikräumen einer alten Segeltuchweberei der Grundstein für eine der bedeutendsten Marken im Luxusklassesegment gelegt wurde.

Unterschiedliche Ansichten in der Unternehmensführung – letztlich wieder Fragen der Gewinnmaximierung – führten 1909 dazu, dass Horch das Unternehmen verließ, welches seinen Namen trug und wieder neu begann. Da er einen familiär-patriarchalischen Führungsstil pflegte und seine Mitarbeiter dadurch oft persönlich binden konnte, gelang es ihm auch 1909, wichtige Mitarbeiter und ihm wohlgesonnene Aktionäre wie die Familie Fikentscher mitzuziehen und ihm beim Neuanfang mit Audi zu unterstützen.

Der Erste Weltkrieg verlangte von Audi eine deutliche

Intensivierung der Produktion. Um die Kapitaldecke zu vergrößern, wandelte man 1915 die Audi Automobil-Werke GmbH in eine AG um. Horchs Tätigkeitsfeld verlagerte sich damit immer mehr in Richtung Verwaltung und Materialbeschaffung. Seine letzte ingenieurstechnische Leistung bestand in der Mitarbeit am ersten deutschen Panzer, dem A7V. 1920 endete seine aktive Schaffensphase mit dem Wegzug nach Berlin.

Wettkampf beweist Qualität

„Und von da ab wußte ich ganz genau und habe das in meinem ganzen Leben immer wieder hervorgehoben, betont und verfochten: wie unendlich wichtig Wettfahrten sind.“
August Horch nach seiner ersten siegreichen Wettfahrt 1901

Im Unterschied zu heutigen Rennen ging es in der Anfangszeit des Automobils nicht nur darum, hohe Geschwindigkeiten

zu erreichen, sondern möglichst pannenfrei am Ziel anzukommen. Das Automobil sollte seine Zuverlässigkeit im Gebrauch demonstrieren. Teilgenommen wurde zwar in wettkampfoptimierten Fahrzeugen, diese Modelle entstammten aber dennoch dem aktuellen Verkaufskatalog für jedermann. Zudem wurden sie oft von den Konstrukteuren selbst, so auch von August Horch oder aber von deren Besitzern – den sogenannten Herrenfahrern – gesteuert.

Wie wichtig der sportliche Wettkampf für die Verbesserung seiner Produkte war, verstand August Horch früh. 1901 wurde er in Köln mit seinem ersten Horch-Wagen von seinem Karosserielieferanten in einem Falke-Wagen spontan zu einer Wettfahrt herausgefordert. Er verlor nach einer Reihe von Defekten deutlich. Zahlreiche Verbesserungen halfen ihm jedoch bei der Revange zum klaren Sieg.

Der Wettkampf wurde für ihn fortan zur Triebfeder für die eigene Produktverbesserung in Anbetracht der automobilen Konkurrenz auf dem Markt. Jeder Erfolg wurde so folgerichtig zu Werbezwecken genutzt. In Europa wurden allein im Jahr 1909 29 verschiedene Rennen ausgeschrieben. August Horch und eine Reihe von Mitarbeitern und Freunden nahmen an einigen dieser Zuverlässigkeits- und Bergfahrten teil. Die Bewertungen erfolgten in den unterschiedlichsten Kategorien, u. a. entschied auch Komfort und Schönheit der Fahrzeuge. Besonders erfolgreich waren die Mannschaften um August Horch bei der Herkomerkonkurrenz und der Internationalen Alpenfahrt. Der Erste Weltkrieg beendete schließlich die Teilnahme von August Horch an Wettkämpfen.

Nach dem Automobilbau

„Ich wollte fort von Zwickau. Ich hatte während des Krieges

außerordentlich viel für die Industrie und besonders für die Audi-Werke auswärts arbeiten müssen, ich war vor allem sehr oft in Berlin gewesen, und nun wollte ich nach Berlin übersiedeln. Dort schlug das starke Herz des Reiches, dort war die Quelle, dort fielen alle Entscheidungen, ich wollte an der Quelle sein.“
August Horch 1937

1920 verließ August Horch die Firma Audi und auch die Stadt Zwickau nachdem er hier zwei Automobilfirmen gegründet hatte. Er ging in die Reichshauptstadt Berlin und arbeitete dort als Publizist und als gefragter Berater für die Autoindustrie und für Behörden. Zudem nahm er eine Vielzahl von repräsentativen Tätigkeiten wahr, bei denen er als Pionier der Kraftfahrt gern gesehen war.

Der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 begegnete Horch weder mit Begeisterung noch mit Widerstand. Politisches

Engagement ist keines belegt, wenngleich er Ehrungen durch die neuen Machthaber und gemeinsamen Auftritten gegenüber auch nicht abgeneigt war.

Beratende und repräsentative Tätigkeiten jener Zeit

ab 1919:
Vorstandsmitglied der Automobiltechnischen Zeitschrift (ATZ)
1921:
Mitglied der Rennleitung für das erste AVUS-Rennen, 24.–25. September in Berlin
ab 1924:
Leiter des Normenausschusses der Deutschen Industrie (DIN)
1925:
Gründungsmitglied des Deutschen Kraftfahrzeugüberwachungsvereins DEKRA
ab 1933:
Mitglied im Aufsichtsrat der Auto Union
1936:
Stellvertretender Vorsitzender einer Kommission unter Wunibald Kamm, die im Deutschen Museum eine ständige historische Kraftfahrzeugsammlung aufbaute. Horch beschaffte hierfür wertvolle Exponate
 

Armut, Not und Ehre

„Trotz aller Enttäuschungen dürfen wir den Mut nicht verlieren, mitzuarbeiten am Wiedererstehen eines Deutschland, das in der Welt wieder geachtet ist. Wir wollen und müssen beweisen, daß wir guten Willens sind, das gutzumachen, was eine verblendete Minderheit unter der Leitung eines Größenwahnsinnigen verbrochen hat.“
August Horch, 1947

Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutete für August

Horch – wie auch für die meisten Deutschen – Leid, Armut und Ungewissheit. Sein Haus in Berlin fiel den alliierten Bomben zum Opfer. Schließlich führte ihn die Furcht vor den Sowjets in die amerikanische Besatzungszone nach Münchberg in Oberfranken, wo er gemeinsam mit seiner späteren Ehefrau Else Kolmar bis zu seinem Tod 1951 Quartier beziehen konnte. Die geplante Rückkehr in seinen Heimatort Winningen blieb ihm durch die französische Besatzungsmacht verwehrt. Mit der Enteignung der Auto Union in der sowjetischen Besatzungszone wurde auch Horchs Sparvermögen eingefroren – weitere Bezüge entfielen. Mittlerweile hochbetagt gelang es Horch, sich mit Publikationen und Zeitungsartikeln finanziell über Wasser zu halten. Auch eine Beratertätigkeit für die Motoren- und Lkw-Entwicklung bei der Krupp-Tochter Südwerke in Kulmbach nahm er wahr.

1949 bekam August Horch die Ehrenbürgerwürde seiner Heimatgemeinde Winningen verliehen. Im September des

gleichen Jahres wurde er in einer Geste der Verbundenheit in den Aufsichtsrat der in Ingolstadt neugegründeten Auto Union GmbH berufen. Die Löschung der Auto Union AG aus dem Chemnitzer Handelsregister ein Jahr vorher hatte den Weg von Sachsen nach Bayern endgültig freigemacht. Im Winter 1950/51 hatte August Horch einen plötzlichen Kräfteverfall erlitten, dem er schließlich am 3. Februar 1951 im Alter von 82 Jahren in Münchberg erlag.

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