Horch ohne Horch

Horch – Qualität und Quantität

Im Jahre 1920 erwarb Dr. Moritz Straus die Aktienmehrheit der Horchwerke AG. Ihm gehörte bereits der größte Anteil an den Argus Flugmotorenwerken GmbH in Berlin. Kontakte zwischen beiden Unternehmen gingen auf die Vorkriegszeit zurück, als man bei Horch mit Flugmotoren experimentierte, die nach Argus Lizenzen hergestellt werden sollten. Obwohl nichts daraus wurde, verlor man sich nicht aus den Augen.

Als mit Kriegsende der Flugmotorenbau verboten wurde, gewann die Verbindung zu Horch für Dr. Straus an Aktualität. Er übernahm die Aktienmehrheit des Zwickauer Automobilherstellers und beauftragte den Schweizer Konstrukteur Arnold Zoller mit der Konstruktion eines Personenwagens. Der sollte dann bei Horch in Zwickau gebaut werden. Gleichzeitig sollte der neue Wagen die noch in großer Vielfalt gebauten Vorkriegsmodelle als nunmehr einziger Horch Typ ablösen.

Ab 1. Juli 1922 trat als Zoller-Nachfolger und neuer Argus Chefkonstrukteur Paul Daimler, der Sohn Gottlieb Daimlers, seinen Dienst in Berlin an. Per Beratervertrag war er gleichzeitig dazu verpflichtet, die Modellpflege der Horch Wagen sicherzustellen.

Nach letzter Veredelung des von Zoller geschaffenen Horch Vierzylinders schuf Daimler den Horch 8, der seit dem 2. Januar 1927 ausschließlich hergestellt worden ist.

Dr. Moritz Straus hat in diesen Jahren in überragender Weise die Strategie der Marke Horch gestaltet. Entwicklung und Konstruktion, Fertigung und Marktauftritt bildeten für ihn eine Einheit. Daher förderte er die konstruktive Vervollkommnung des Achtzylinders, schuf eine auf besonders hochwertige Qualität orientierte Fertigung und sicherte durch Verpflichtung führender Karossiers und Gestalter einen stilbildenden

Außenauftritt der Wagen mit dem gekrönten H.

In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre war die Fertigungskapazität von vier Wagen täglich (1925) auf zwölf (1928) gestiegen. Im Jahr darauf konnte man sogar schon 15 Wagen am Tag montieren.

Binnen kürzester Zeit wurde Ende der 1920er-Jahre der Horch 8 zum Qualitätsbegriff, der ein Spitzenerzeugnis der deutschen Automobilindustrie symbolisierte. Die besondere Laufruhe und die hohe Verarbeitungsqualität prägten den Ruf dieser Wagen. Die Zwickauer Automobilbauer haben sich dabei eine in Deutschland einmalige Konzentration an Know-how vor allem bei der Fertigung so großer Triebwerke erworben. Dazu gehörte z. B. die kenntnisreiche Behandlung der großen Gussblöcke, um deren Verziehen während der Bearbeitungsvorgänge zu verhindern; das Auffräsen der Ventilsitze und deren Einläppen

von Hand mit der Brustleier; das Auswuchten aller rotierenden Teile einschließlich der Riemenscheibe der Lichtmaschine und – für die extreme Laufruhe – das Einstellen der schräg verzahnten Bronzeräder für den Königswellenantrieb mithilfe eines Hörrohrs!

Jeder Motor hatte 60 Minuten Prüfstandlauf hinter sich, davon 40 Minuten mit Vollgas. Alle hochbelasteten Teile, z.B. die Kurbelwellenlager, wurden bei Horch als einem der ersten Automobilhersteller überhaupt mit Diamanten bearbeitet.

Die Kapitalisierung der Fertigungseinrichtungen und des Absatzes überschritten die finanziellen Möglichkeiten von Dr. Straus bei Weitem. So engagierten sich die Allgemeine Deutsche Credit Anstalt (ADCA) und die Berliner Commerzbank für das Zwickauer Werk. Diese Banken gehörten 1932 auch zum Gründungskonsortium der Auto Union, in der die Horchwerke

aufgingen.

Als 1920 die Friedensproduktion bei den Horchwerken wieder voll in Gang gekommen war, hatte man sechs Personen- und drei Lastwagentypen im Angebot. Es handelte sich ausnahmslos um Vorkriegsentwicklungen, darunter als Topmodell ein Wagen mit 80-PS-Vierzylinder-Motor und 8,5 Liter Hubraum!

1923 lief diese bunte Palette aus, und es wurde nur noch der seit 1922 im Programm befindliche, von Zoller entwickelte 10/35-PS-Wagen hergestellt. Er wurde angetrieben durch einen seitengesteuerten Vierzylinder-Motor mit 35 PS Leistung. Das ebenfalls völlig neu entwickelte Fahrgestell war allein durch sieben Patente und acht Gebrauchsmuster geschützt. Sie betrafen u. a. das Hinterachsgehäuse sowie den Motor, der mit der Lenkung und der Stirnwand zu einer einzigen montagefertigen Baugruppe, heute Modul genannt, vereinigt

worden war.

Paul Daimler hat zuerst diesen Wagen überarbeitet. Der Wagen bekam eine Vierradbremse und bot mit seinem Flachkühler – der vorherige 10/35 hatte einen modischen Spitzkühler – einen konventionellen Anblick. Erstmals sah man hier das neue Markenzeichen: ein H, über dem sich das Wort Horch so wölbte, dass das Gebilde einer Krone glich. Das Signet stammte von Prof. Ernst Böhm, Lehrer für Gebrauchsgrafik an der Hochschule für Freie und Angewandte Kunst in Berlin.

Höhepunkt des Daimler-Wirkens für Horch war zweifellos der von ihm entworfene Achtzylinder- Motor in Reihenbauweise. Der Motor hatte etwa 3 Liter Hubraum und leistete 60 PS. Die Ventilsteuerung besorgten zwei oben liegende Nockenwellen, die über eine Königswelle mit Gleason-Spiralverzahnung angetrieben wurden. Auf ihrem Kopf saß der Verteiler. Vom

gleichen Kegelrad, das die Königswelle antrieb, wurde nach unten die Zahnraddruckpumpe für die Schmierung bewegt. Rechnet man den Schraubradantrieb für die Kühlwasserpumpe und für die Lichtmaschine hinzu, so arbeiteten bei diesem Antrieb nicht weniger als acht Zahnräder ineinander!

Bemerkenswert an dem Wagen waren auch konstruktive Details, die damals weit über dem Durchschnitt lagen. So wurde die Vierradbremse mithilfe der Saugwirkung des Motors betätigt (nach dem System des Belgiers Albert Dewandre), um die erforderlichen Pedaldrücke zu reduzieren. Im Kühlsystem sorgte ein Thermostat, der den Wasserumlauf erst bei 72 Grad öffnete, für die Optimierung der Betriebstemperatur.

Der Wagen wurde Ende 1926 auf der Berliner Automobilausstellung zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt. Dieser Horch kostete in der einfachsten Ausführung

als offener Tourenwagen 11 900 Mark. Wenige Konkurrenten waren teurer, viele dagegen sogar billiger, so z. B. der Mercedes Mannheim und der 3,3-Liter Röhr!

Zwei Jahre später erschien mit dem Horch 350 der Nachfolgetyp. Dessen Karosserien hatte Prof. Hadank entworfen, wie Böhm an der Berliner Kunsthochschule tätig.

Auf der Berliner Automobilausstellung im Dezember 1928 war ein halbes Dutzend der neuen Wagen zu sehen – als Pullman-Limousine und Pullman-Cabriolet, offener Tourenwagen, Limousine und Sport-Cabriolet. Den Vogel schoss das viertürige sogenannte Sedan-Cabriolet ab – eine graue Karosserie harmonierte mit scharlachroter Lederausstattung und sandfarbenem Verdeck! Als erste deutsche Firma bot Horch seitdem seine Wagen serienmäßig mit splitterfreiem Glas ausgerüstet an. Sehr große, von Zeiss in Jena gefertigte

Scheinwerfer beherrschten die Frontpartie des Wagens. Zwischen ihnen war eine Querstange angeordnet, in deren Mitte eine 8 im Kreis auf die Horch 8-Spezifik hinwies. Der bisher unverkleidete Kühler bekam nun eine in Wagenfarbe gehaltene und im Chromrand gefasste Jalousie. Neu war eine auf dem Kühlerverschluss angebrachte Symbolfigur, ein geflügelter Pfeil. (Entwurf: O.H.D. Hadank)

Wiederum zwei Jahre später bot Horch eine Sonderausführung seines Achtzylinders an, der auf den nüchternen Typencode 375 hörte.

Der Karosserieentwurf stammte erneut von Prof. Hadank, auch unterm Blech hatte Paul Daimler nochmals nachgelegt. Wesentliche Neuerungen waren die tiefe Kröpfung des Rahmens über der Hinterachse und eine veränderte Federanordnung, wodurch sich breitere Spurmaße und günstigere Federabstände

ergaben. Die Hinterfedern waren 1,45 Meter lang und wurden aus 18 Lagen Chromvanadiumstahl gebildet! Erstmals gab es bei Horch hydraulische Schwingungsdämpfer. Auf dem Kühlerverschluss des Wagens prangte von nun an die – wieder von Ernst Böhm entworfene – geflügelte Weltkugel.

Mit diesem Auto war Paul Daimler endlich am Ziel. Die Anfangsschwierigkeiten waren überwunden, und der Achtzylinder war zum seidenweich laufenden Motor geworden. Dem so anspruchvollen Antrieb entsprachen nun auch Fahrgestell und Karosseriegestaltung des Wagens, der insgesamt in Deutschland Maßstäbe setzte. Dies galt vor allem für die Fertigungs-qualität und das unaufdringlich-luxuriöse Ambiente. Als Paul Daimler 1929 in den Ruhestand trat, durfte er auf bis dahin über 7000 Horch Achtzylinder-Wagen zurückschauen – eine Zahl, von der die deutschen Konkurrenten nur träumen konnten.

Nachfolger Fritz Fiedler – von Stoewer in Stettin kommend – konzipierte die Angebotspalette neu. Den Reihenachtzylinder, ab sofort nur noch mit einer oben liegenden Nockenwelle, gab es künftig in drei Größen: 4 Liter Hubraum mit 80 PS, 4,5 Liter mit 90 PS und 5 Liter mit 100 PS. Für diese drei Motorvarianten standen ein kurzes und ein langes Fahrgestell zur Verfügung. Acht Karosseriemodelle waren werkseitig vorgesehen, aber natürlich stand es jedem Horch Käufer frei, lediglich das Fahrgestell zu erwerben und darauf dann bei einem Karossier wie Gläser oder Erdmann & Rossi einen Aufbau seiner Wahl setzen zu lassen.

Für besonderes Aufsehen sorgten die Horch Werke auf dem Pariser Salon 1931. Auf dem Horch Stand war ein gelb lackiertes Cabriolet mit braunem Verdeck und grüner Saffian-Lederpolsterung zu bewundern, flankiert von einem Typ 500 in Stahl41 bau mit grauem Verdeck und von einem 470er

Sedan-Cabriolet in grauem Lack mit hellgrauem Verdeck und blauer Lederpolsterung. Die Attraktion, das gelbe Sportcabriolet, zeigte unter der geöffneten Motorhaube ein neues Wunderwerk: einen Zwölfzylinder-V-Motor mit sechs Liter Hubraum! Fiedler hatte keinen Aufwand gescheut, um höchsten Ansprüchen an Laufkultur gerecht werden zu können. Um Schwingungsproblemen an der siebenfach gelagerten Kurbelwelle zu begegnen, hatte er sie mit zwölf Ausgleichsgewichten am vorderen Ende und noch dazu mit einem Schwingungsdämpfer versehen.

Natürlich war für die Geräuscharmut des Wagens die Verwendung eines ZF-Aphongetriebes geradezu obligatorisch. Übrigens war es eines der ersten in Deutschland, bei denen schon der zweite Gang geräuscharm ausgebildet war.

Dieses Flaggschiff der Horch Flotte gab es entweder als

zwei- oder viertüriges Cabriolet unter der Typenbezeichnung 670 oder als Pullman-Limousine bzw. -Cabriolet unter dem Typencode 600. Besonderes Kennzeichen des Horch 670 war die dreiteilige Windschutzscheibe, deren Mittelstück sich nach außen verstellen ließ. Das mit Edelholz belegte Armaturenbrett war ebenso mit einer Kartenleselampe bestückt wie mit diversen Kontrollleuchten. Die Inneneinrichtung wurde durch serienmäßige Liegesitze den Komfortansprüchen angepasst.

Der Wagen kam Anfang 1932 auf den Markt und kostete je nach Ausführung zwischen 24.000 und 26.000 Reichsmark. Der Markt der Luxusklasse war in Deutschland hart umkämpft wie kaum anderswo. 17 Achtzylinder in 47 Modellvarianten glänzten miteinander um die Wette! Um so höher ist es zu bewerten, dass es Horch gelang, sich gegen diese Konkurrenz durchzusetzen: In der Klasse über 4,2 Liter Hubraum betrug 1932 der Marktanteil der Zwickauer Edelmarke 44 Prozent.

Unternehmensgeschichtliche Daten

Die Horchwerke AG gehörte von 1920 bis zur Liquidation am 29. Juni 1932 zu den Argus-Flugmotorenwerken, Berlin. Sitz der Horch Direktion in dieser Zeit war Berlin, Mittelstraße 15. Das Kapital betrug 5 Mio. Reichsmark.

Zwischen 1922 und 1932 sind etwa 15.000 Horch Wagen hergestellt worden, davon ab 1927 rund 12.000 mit Achtzylinder-Motor. Das entsprach einer Jahresleistung von durchschnittlich 1.300 Wagen. Zwischen 1925 und 1930 betrug der Jahresumsatz durchschnittlich 23 Mio. Reichsmark.

Die Zahl der Beschäftigten schwankte zwischen 2.200 und 2.400 Arbeitnehmern. 1932 erreichte der Zulassungsanteil der Horch Automobile in Deutschland in der Klasse über 4,2 Liter Hubraum mehr als 44 Prozent.

Der Tourenwagen 10/50 PS kostete 1926 12.876 Reichsmark. Der Achtzylinder war zum Teil teurer als die Konkurrenzmodelle. Der Preis für den Tourenwagen 303 betrug 1927 11.900 Reichsmark. Für den 350 waren in gleicher Ausführung 14.000 Reichsmark zu bezahlen, während der Zwölfzylinder-Typ als Pullman-Limousine 24.500 Reichsmark kostete.

Just-in-time-Produktion bei Horch 1928

„Ausgangspunkt für die Berechnung des Zeitpunktes, an dem das Rohmaterial angeliefert werden muss, ist der Augenblick, in dem der fertige Wagen das Montageband verlässt. Von hier aus ist rücklaufend ein genauer ,Fabrikations-Fahrplan‘ aufgestellt worden, in dem jede einzelne Operation genau mit der Zeit, die sie benötigt, eingetragen ist. Besondere Terminbeamte sorgen dafür, dass der Fahrplan, der im Zentralbüro verfolgt wird, auch eingehalten wird.

Der Motor und die Hinterachse laufen auf ihren Montagebändern genau zu der Minute aus ihren Abhörräumen (das ist die letzte Operation) auf das Montageband des Fahrgestells, wenn sie zum Einbau benötigt werden. Ebenso wird jeder Motor und jeder Hinterachsteil erst in dem Augenblick fertig, wenn er an seine Stelle kommen muss. Die Karosserie ist gerade fertig lackiert, wenn sie auf das fertige Fahrgestell aufgebaut wird, und so fort, bis der Wagen nach der letzten gründlichen Ableuchtung unter hellen Scheinwerfern das Werk verlässt.“
P. Friedmann, in: Deutsche Motor-Zeitschrift 1928, Heft 6

Ernest Friedländer: Auto-Test-Buch 1931

„Der Wagen hat ungemein fließende Linien, und wenn er auch stärker modischen Einflüssen nachgibt als die serienmäßigen Erzeugnisse von Daimler-Benz, so hat er vor diesen den Vorzug einer geschmeidigeren Erscheinung und eines sublimierten

Ausdrucks. Bei Horch ist das formale Problem heute dominierend. Alles, selbst konstruktives hat sich diesem obersten Gesichtspunkt einzuordnen, und so ist es erklärlich, dass das Resultat dieser Konzeptionsform eine Delikatesse aufweist, die kaum zu übertreffen ist. Die großen Horch Cabriolets und Limousinen zählen heute trotz ihrer Größenordnung zu den beflügeltsten und schneidigsten Schöpfungen der Automobiltechnik.“

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